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Unser Titel ist ein Zitat von Dag Hammarskjöld aus dem Jahr 1951. Dag Hammarskjöld war UNO-General sekretär und er war ein Mystiker. Bei einer UNO-Mission im Kongo stürzte sein Flugzeug ab, wahrscheinlich
wurde es abgeschossen; Hammarskjöld starb. Posthum erhielt er den Friedensnobelpreis.

In seinem Nachlass fand man ein «Tagebuch» mit Aphorismen, Versen und Zitaten. Vieles wirkt wie eine Verhandlung mit seinem Ich und seinem Gott, und immer gegenwärtig ist die Idee des Opfers. «Ein Mann, der wurde, was er konnte, und der war, was er war – bereit, im einfachen Opfer alles zu fassen.» 6 Jahre vor seinem Tod schrieb er: «Dein-, Opfer- und Befreiung: unter einem Willen zu stehen, für welchen ‘ich’ im Nichts ein Ziel bin.» Die Blumen an und über der Baumgrenze, vielleicht das Alpenleinkraut oder der Schnee-Enzian, müssen sich an die besonderen Lebensbedingungen anpassen. Die Schneedecke isoliert und bietet Schutz vor Austrocknung und starker Strahlung, doch die Vegetationszeit ist kurz. Um diesen Bedingungen zu trotzen, haben viele Pflanzen Abwehrmechanismen entwickelt wie Polsterwuchs, dichte Behaarung, gedrungener Wuchs, wachsartige Überzüge und ein gut ausgebildetes Feinwurzelsystem. Wir können diesen Pflanzen Eigenschaften, wie Durchhaltevermögen, Beständigkeit, Anspruchslosigkeit und Lebenskraft zuschreiben.

Wenn wir unsere eigenen Veranlagungen und unser Verhalten vergleichen mit diesen Pflanzen, werden wir bescheiden und demütig. Nicht demütig im Sinn von Unterwürfigkeit, sondern als Demut oder Bescheidenheit, welche die eigenen Schwächen und Stärken kennt, lernbereit und offen ist und versteht, dass wir nur ein kleiner Teil eines grösseren Ganzen oder der Wirklichkeit sind. Die Blume an der Baumgrenze ist bescheiden und nicht abhängig von Betrachtenden, sie genügt sich selbst.

In einsamer Gegend
zwischen Hochgebirgsfelsen
umkost vom flüsternden Windhauch
erfreut sich die Wildnelke ihrer selbst.

Katsuki Sekida

 

sommer rundbrief chan bern 2024

Auch die Rose im Garten verkörpert ein Sein aus reiner Soheit. Das haben auch christliche Mystiker erkannt.

Die Ros’ ist ohn’ Warum,
sie blühet, weil sie blüht.
Sie acht’ nicht ihrer selbst,
fragt nicht, ob man sie sieht.

Angelus Silesius

Im Chan-Buddhismus erhält die Blume, die Natur ganz allgemein, noch eine andere Bedeutung. Die ganze Natur ist Ausdruck der Soheit, die wir auch Buddha-Natur nennen. Und sogar die unbelebte Natur ist nichts anders als eine Funktion dieses Prinzips. Von Dongshan wird berichtet, dass er von seinem ersten Lehrer den Satz hörte: „Auch die nicht fühlende Natur verkündet den Dharma – nur trifft sie selten einen Menschen, der es vernimmt.“

Dieser Satz und die damit verbundene Frage nach dem „Erwachen“ liessen ihn nicht mehr los und wurden ihm zur zentralen Lebensfrage.

So fragte er später seinen Lehrer: „Wer kann die Lehren der unbelebten Dinge hören?“
Der folgende Dialog wurde zu einem Gong’an, einer Geschichte, die uns zum Durchbrechen unserer Sprachkonvention und vorgefassten Meinungen bringen soll.

Antwort: „Es kann von den Unbelebten gehört werden.“ Dongshan fragte: „Hörst du es?“

Antwort: „Wenn ich es hören würde, würdest du meine Belehrung nicht hören.“

Dongshan sagte: „Wenn es so ist, dann höre ich deine Belehrung nicht.“

Antwort: „Wenn du nicht einmal meine Belehrung hörst, um wie viel weniger hörst du die Lehren der Unbelebten.“

Dongshan: „Die Lehre des Unbelebten ist unvorstellbar. Wenn du mit den Ohren hörst, wirst du nicht verstehen; wenn du den Laut mit den Augen hörst, wirst du wissen.“

sommer rundbrief chan bern 2024 2

Meister Sheng Yen sagt: „Das Bestreben, zu erwachen, bodhicitta genannt, ist das Signal des Geistes an sich selbst, dass er bereit ist, Geistestrübungen fallen zu lassen, Mitgefühl zu nähren und Weisheit zu kultivieren, was bedeutet, seine eigene wahre Buddha-Natur wahrzunehmen. Dazu lockern wir zuerst unsere Fixierung auf Begierde, Ärger, Arroganz, Unwissenheit und andere Geistestrübungen. Dann geloben wir, andere Lebewesen auf den Weg zu führen. Erst nachher können wir unser „wahres Gesicht“ sehen. Wahres Mitgefühl entsteht aus selbstloser Weisheit. Es ist möglich, dass Menschen erwachen, doch erwachte Personen wirken sehr gewöhnlich.

Der „Gesang des kostbaren Spiegelsamadhi“ spricht von einem singenden Holzmann und einer tanzenden Steinfrau. Im Chan ist das nicht lächerlich, sondern ganz vernünftig – es besteht kein Unterschied zwischen fühlend und nicht-fühlend. Empfindung und Nicht-Empfindung sind Buddha-Samen aus der gleichen Quelle. Die Nicht-Fühlenden können dem Dharma Ausdruck verleihen, doch dies kann nur von einem erwachten
Wesen verstanden werden. Logisches Denken oder gewöhnliche Vorstellungsgabe erfassen es nicht. Ein erwachtes Wesen jedoch sieht keinen Unterschied. Ein Holzmann könnte sehr wohl singen, doch wäre es ein lautloses Lied, und eine Steinfrau könnte tanzen, doch wäre es ein Tanz ohne Bewegung.

Frühling ist’s geworden.
Tausend Blüten entfalten ihren Liebreiz. Für was? Für wen?

Smaragdene Felswand, Fall 5


Unsere Veranstaltungen im 3. Quartal 2024

Sommerpause vom 8. Juli bis 4. August